„Wir ziehen die Aktion
gemeinsam durch
oder gar nicht.“
(…) Es war kurz vor halb zehn, als sie im Schutz der Dunkelheit das Schulgelände betraten. Noch viel stärker spürten jetzt alle wieder diesen sonderbaren Mix aus Euphorie und Beklemmung – viel stärker als vor ein paar Tagen bei der letzten Lagebesprechung. „Hast du die Farbe dabei?“, fragte Martin. Timo hielt eine Blechdose hoch: „Purpurrot!“ – „Gut!“, meinte Martin nur. „Jakob? Was machen die Schlüssel?“ Jakob hob einen Schlüsselbund in eit, der leise klimperte. „Prima!“ Martin wollte forsch klingen, aber es saß ein dicker Kloß in seinem Hals. Sie gingen über den Lehrerparkplatz auf den Schulhof.
Es roch nach Humus und Rinde, denn erst heute war Herr Gerlings mit den letzten Anpflanzungen fertig geworden. Vor dem Schulgebäude war ein großes Podest mit Zeltdach aufgebaut. Hier würden morgen im offiziellen Teil die Reden geschwungen, hier sollte die Musikband spielen. Hinterher sollte es auf dieser Bühne noch einige Kleinkunstdarbietungen und Sketche geben. Auch ein Getränkewagen und eine Würstchenbude waren schon abgestellt worden, ferner viele Buden in der Art von Jahrmarktsständen.
Hoch über der Podestbühne hörte man eine Kunststoffplane knattern. Nachdem Hausmeister Schmidt am Donnerstagnachmittag in stundenlanger Arbeit den Schriftzug EICHENPARK SCHULE angebracht hatte – „mit Schatteneffekt“ –, hatte er umgehend einen langen Streifen fester Folie darüber gespannt. Niemand sollte am Freitag das gelungene Werk sehen oder gar kommentieren. Erst am Samstag um Punkt elf Uhr sollte die Enthüllung regelrecht inszeniert werden – vor einer gutgelaunten Feiergesellschaft, vor Ehrengästen und Zeitungsleuten. Sogar ein Team des Regionalfernsehens hatte sich angekündigt. Er selbst, Schmidt, wollte dann persönlich die Enthüllung vornehmen und mit Hilfe eines langen Seiles die Kunststoffplane herab reißen. Es war eine Wissenschaft für sich gewesen, die Folie einerseits so fest anzubringen, dass sie nicht im Wind herumwehte, andererseits sie so zu befestigen, dass man sie ohne Probleme würde herunterziehen können.
Die Jugendlichen hatten nach kurzer Diskussion entschieden, dass niemand Wachposten spielen musste. Sie wollten zusammenzubleiben. „Wir ziehen die Aktion gemeinsam durch oder gar nicht“, hatte Timo verkündet. Sie schlichen zum Kellereingang, der direkt in die Hausmeisterwerkstatt führte. Jakob schloss auf, und die Gruppe verschwand im Keller. Leise schloss Martin die Außentür wieder. Sie durchquerten vorsichtig die Hausmeisterwerkstatt. In einer Ecke standen noch die Kartons, in denen die Buchstaben für den Schulnamen angeliefert worden waren. Jetzt schloss Jakob mit einem anderen Schlüssel die Werkstatttür zum Flur hin auf, und alle huschten hinaus. Katharina knipste eine kleine Taschenlampe an, richtete rasch den Lichtstrahl auf den Gang, um den Wegverlauf zu erkennen. Dann löschte sie sofort wieder das Licht. Sie fanden das Treppenhaus und eilten hinauf bis zum dritten Stock. Hier war die Treppe zu Ende. Nur noch eine schmale Leiter führte hinauf zu einer Dachluke. Katharina leuchtete für einen kurzen Augenblick hinauf. „Die ist nicht verschlossen!“, flüsterte Timo. „Die zählt als Notausstieg.“ – „Also los! Worauf warten wir noch?“, entgegnete Lena. Martin stieg als erster hoch, dann folgten Lena und Timo. Mit einem Ruck legte Martin den Riegel um, stieß die Kunststoffhaube über der Luke nach außen und klappte sie auf die Kiesabdeckung. Und schon schwang er sich sportlich hinaus und war in der Dunkelheit verschwunden. Dann tauchte sein Kopf wieder über der Luke auf. „Jetzt ihr!“, flüsterte er energisch durch die Luke hinunter. Auch Lena schlüpfte rasch aufs Dach hinaus, bei Timo war das etwas mühsamer. Schließlich folgten Katharina und Jakob.
Als alle fünf oben auf dem Dach standen, verschnauften sie erst einmal. Es waren erst wenige Minuten vergangen, seit sie durch den Keller in die Schule gelangt waren. Vom Gefühl her war dies wie eine quälende Ewigkeit gewesen. Über ihnen bot der Sternenhimmel ein faszinierendes Bild. „Heute ist Frühlingsbeginn“, sagte Lena plötzlich. Es war in den vergangenen Tagen milder geworden. Konnte man der Wettervorhersage glauben, dann würde morgen das Schulfest bei strahlendem Sonnenschein stattfinden.