Beim Aufräumen meines Schreibtisches ist mir ein Foto auf den Boden gefallen. Mit einem Seufzer habe ich es in die Hand genommen. Fotos anzuschauen ist immer eine kleine Reise in die Vergangenheit. Dieses Papierbild weckt eine Reihe von Erinnerungen. Ein Ausflug fällt mir ein. Meine Gedanken schweifen ab und ich sehe mich mit einer Gruppe Jugendlicher am Grab von Clemens August von Galen stehen. Lena legt einen Strauß weißer Rosen auf die Grabplatte …
Nach Münster sind wir gefahren, damals, vor vielen Jahren. Noch oft bin ich zu diesem Grab gekommen – allein. Zwei Gräber sind mir im Laufe meines Lebens wichtig geworden: Das meiner Frau und auch dieses hier auf dem Foto. Manchmal habe ich, so wie die Jugendlichen, einen Strauß Blumen abgelegt. Blumen schenkt man Menschen, die man mag, die einem wichtig sind, die man ehren möchte. Natürlich habe ich Kardinal von Galen, den Löwen von Münster nicht persönlich kennen gelernt, aber auch wenn man sich mit der Biographie eines Menschen, mit dem was er gesagt und getan hat, beschäftigt, kann so ein Mensch sehr wichtig fürs eigene Leben werden. Clemens August von Galen ist seinem Gewissen gefolgt – in einer Zeit als das lebensgefährlich sein konnte. Mutig wie ein Löwe hat Bischof Clemens August das Unrecht beim Namen genannt. Und wenn ich mal überlege: die Themen gehen heute in die gleiche Richtung: da gibt es viel Spott und Kritik, wenn es um religiöse Inhalte geht; da ist die Würde des Menschen ganz am Anfang des Lebens nicht mehr unantastbar…
Weder Lob noch Furcht – nec laudibus nec timore. Das war der Wahlspruch Galens für sein Bischofsamt. Immer wenn ich an seinem Grab im Paulus-Dom von Münster sitze und mir Zeit nehme, überlege ich, in welchen Situationen dieses „Motto“ für mich persönlich von Bedeutung ist. Es fallen mir immer wieder neue Aspekte ein. Und ich bin dankbar, dass es solche Orte der Erinnerung gibt, wie dieses Grab. Das hatte ich mir damals kurz nach dem Ausflug „in die Höhle des Löwen“ auf die Rückseite dieses Fotos geschrieben:
„Nec laudibus nec timore!“
(Die Jugendlichen legen weiße Rosen auf das Grab des Löwen - im Buch auf Seite 121: "Lena legte den Strauß mit den weißen Rosen, die sie auf dem Domplatz der alten Frau abgekauft hatten, auf das Grab.")